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Prüfungsrecht

Das Prüfungsrecht ist ein komplexes Rechtsgebiet. Es hat eine deutliche Grundrechtsrelevanz – etwa, weil die Chancengleichheit der Prüflinge zu gewährleisten ist. Es hat darüber hinaus eine Rechtsstaatsrelevanz: Der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Vorbehalt des Gesetzes oder der Vertrauensgrundsatz gilt insbesondere auch für das Prüfungswesen. Viele formelle (insbesondere verfahrensrechtliche), aber auch materielle Aspekte sind dem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht zuzuordnen. Auch das verwaltungsinterne Innenrecht in Form von Verwaltungsvorschriften ist auch heute noch für das Prüfungsrecht von enormer Bedeutung.
I. Pflichten und Obliegenheiten des Prüflings

Der Prüfling hat neben vielen Rechten in der Prüfung auch Pflichten und vor allem Obliegenheiten. Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit ist die Anzeige des Fehlers, damit der Prüfer oder die Prüfungsbehörde unverzüglich erforderliche Abhilfemaßnahmen treffen kann (BVerwG, Urt. v. 11.08.1993, 6 C 2.93, Rn. 54, juris; OVG Sachsen, Urt. v. 21.01.2025, 2 A 93/24, Rn. 19, juris).

Zu den Pflichten gehören Selbstverständlichkeiten wie die durchzuführende Prüfungsanmeldung oder die Präsenz während der Prüfung. Daneben bestehen Rügeobliegenheiten, wobei Rechte im Falle einer nicht rechtzeitigen Rüge präkludiert werden können – soweit dem Prüfling dieses Verhalten billigerweise im Einzelfall zugemutet werden kann (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.11.2015, 9 S 2284/14, Rn. 15, juris). Unterbleibt die rechtzeitige Rüge des Prüflings trotz Zumutbarkeit, bleibt der Fehler regelmäßig ohne Folgen. Dies gilt etwa bei:​

 
  • Lärmbelästigungen (Bauarbeiten, offene Fenster mit Straßenlärm)
  • Schlechte Beleuchtung an bestimmten Stellen im Raum
  • Hitze und Kälte
  • Defekte Ausstattung (Tisch oder Stuhl)
  • Unangemessenes Verhalten der Aufsicht (lautes, nicht notwendiges Sprechen)
  • Überfüllter Raum usw.
Kurze äußere Einwirkungen wie ein Gewitterdonner sind zu ertragen. Zwar sind offensichtliche und erkennbare Fehler auch ohne Rüge des Prüflings von Amts wegen zu beseitigen (BVerwG, Beschl. v. 10.08.1994, 6 B 60.93, NVwZ 1994, 486). Um aber das verbleibende Risiko zu beseitigen, sollte bei den genannten und ähnlichen Fehlern von dem Rügerecht vorsorglich – ggf. auch mehrmals – Gebrauch gemacht werden.
II. Verfahren und Form der Prüfung

Das Prüfungsverfahren beginnt in einem weiteren Sinne bereits mit den Vorbedingungen. So kann eine erheblich verkürzte Vorbereitungszeit zu einer erneuten Wiederholungsprüfung führen (VG Aachen, Urt. v. 30.05.2011, 4 K 627/10, BeckRS 2012, 59441). Auch das Zulassungsverfahren zur Prüfung ist eine Vorbedingung. Derjenige, der die Voraussetzungen der Zulassung mit allen erforderlichen Dokumenten erfüllt, hat einen grundsätzlichen Zulassungsanspruch (Schnellenbach, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht (4. Aufl.), 13. Kapitel, Rn. 25 m.w.N.). Mit der Zulassung beginnt das Prüfungsrechtsverhältnis zwischen Prüfling und dem Prüfer bzw. der Prüfungsbehörde. Der Prüfling wird das zur Präsenzprüfung geladen oder zur Online-Prüfung benachrichtigt. Das Prüfungsrechtsverhältnis kann vom Prüfling durch eine Rücktrittserklärung beendet werden. Dazu muss der Prüfling

 
  • unverzüglich und endgültig den Rücktritt erklären, 
  • unverzüglich die Gründe für seinen Rücktritt mit Nachweisen darlegen und
  • rechtzeitig die förmliche Genehmigung des Rücktritts beantragen, soweit dies von der Prüfungsordnung vorgesehen wird (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht (7. Aufl.), Rn. 128)
Eine Besonderheit stellt der Nachteilsausgleich dar. Der Nachteilsausgleich ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Gewährleistung der Chancengleichheit durch etwaige Kompensation des Nachteils und der Vermeidung eines Vorteils gegenüber 8 den anderen Prüflingen durch Überkompensation, damit diese nicht in ihrer Chancengleichheit eingeschränkt werden. Dementsprechend dürfen Leistungsschwächen nicht ausgeglichen werden, die für die gerade festzustellende Eignung von Bedeutung sind. Handelt es sich aber um Beeinträchtigungen, die nicht geprüft werden, sondern den Nachweis der Befähigung erschweren und durch Hilfsmittel in der Prüfung und im Berufsleben kompensiert werden können, ist auf Antrag ein Nachteilsausgleich zu erteilen (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht (7. Aufl.), Rn. 259).
III. Prüfungsstoff

Der Prüfungsstoff darf nicht unvorhersehbar sein. Es ist ein normativ vorgegebener Rahmen erforderlich (VG Karlsruhe, Urt. v. 04.11.2015, 4 K 1093/13, Rn. 22, juris). Dabei hat der Normgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die an verfassungsrechtliche Grenzen – wie etwa das Bestimmtheitsgebot – stößt. Innerhalb dieses (teilweise äußerst weiten) Rahmens gehört es zum Beurteilungsspielraum des Prüfers bzw. der Prüfungsbehörde, eine Prüfung zu erstellen. Diese Prüfungsaufgabe muss aber ihrerseits ausreichend bestimmt und klar formuliert sein. Die Prüfungsaufgabe muss dementsprechend verständlich, widerspruchsfrei und eindeutig sein (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht (7. Aufl.), Rn. 396 m.w.N.).
IV. Die Prüfungsbewertung

Es ist zwischen prüfungsspezifischen und fachspezifischen Beurteilungen zu differenzieren. Das BVerfG beschränkt den Bewertungsspielraum des Prüfers auf prüfungsspezifische Wertungen, belässt es bei fachspezifischen Wertungen aber bei einer vollständigen Überprüfbarkeit (BVerfG, Beschlüsse v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/91 u. 213/83 -, BVerfGE 84, 34 = NJW 1991, 2005 sowie - 1 BvR 1529/84 u. 138/87 -, BVerfGE 84, 59 = NJW 1991, 2008). Fachspezifische Wertungen betreffen vor allem die Frage, ob die Prüfungsaufgabe durch den Prüfer zutreffend als fachlich falsch, richtig oder als zumindest vertretbar beantwortet bewertet worden ist. Soweit die Richtigkeit, Unrichtigkeit oder Vertretbarkeit nicht eindeutig ist, die Beurteilung mithin verschiedenen Ansichten oder eine Diskussion Raum lässt, ist dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zu gewähren (vgl. BVerwG, B. v. 13.5.2004 - 6 B 25.04 -, NVwZ, 2004, 1375, Urt. v. 17.12.1997 - 6 B 55.97 - , NVwZ 1998, 738, v. 21.10.1993 - 6 C 12.92 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 S. 307; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl., S. 224 Rdnr. 633; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., S. 421 Rdnr. 838 ff.; vgl. auch Barton, Verfahrens- und Bewertungsfehler im ersten juristischen  Staatsexamen, NVwZ 2013, 555).

Die im Anschluss an diese fachspezifische Wertung folgende prüfungsspezifische Wertung, also die Zuordnung der festgestellten Leistungen zu einem standardisierten Leistungsbild im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens, eröffnet dem Prüfer dagegen einen Bewertungsspielraum. Der Beurteilungsspielraum ist nur sehr eingeschränkt überprüfbar, etwa wenn sachfremde Erwägungen bei der Bewertung herangezogen oder die allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe missachtet werden.
2013, 555).Staatsexamen, NVwZ 2013, 555).
V. Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses

Prüfungsleistungen sind zu begründen, damit der Prüfling Einwände wirksam vorbringen kann und sein Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleistet bleibt (BVerwG, Urt. v. 09.12.1992, 6 C 3/92, NVwZ 1993, 677). Sollten zwei Prüfer vorhanden sein, so hat auch der Zweitprüfer eine Begründungspflicht. Sollte er aber mit der Bewertung und der Begründung des Erstkorrektors einverstanden sein, genügt eine kurze Bemerkung (BVerwG, Beschl. v. 19.05.2016, 6 B 1.16, BeckRS 2016, 47406). Insgesamt muss die Begründung die Bewertung rechtfertigen. Auf einen erheblichen Umfang kommt es damit nicht an. Eine fehlende Begründung kann wegen § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nachgeholt werden.
VI. Rechtsschutz

Beim Rechtsschutz ist von elementarer Bedeutung, ob ein Verwaltungsakt vorliegt. Ein Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 VwVfG setzt etwa eine Regelungswirkung voraus; dies ist das Setzen einer einseitig verbindlichen Rechtsfolge. Teilleistungen von Prüfungen erfüllen diese Kriterien grundsätzlich nicht. Bei Staatsprüfungen enthält 10 der Endbescheid mit allen Teilbewertungen den Verbindlichkeitscharakter. Dieser Endbescheid ist isoliert anfechtbar. Ohne aber überhaupt über einen gerichtlichen Rechtsschutz nachzudenken, ist das Überdenkungsverfahren zu beachten. Es ist etwa in § 26 Abs. 2 AZG Bln geregelt, dass kein Widerspruchsverfahren bei Hochschulangelegenheiten durchzuführen ist. Es ist ein Überdenkungsverfahren durchzuführen, bei dem der Prüfer seine Bewertung „überdenkt“. Dies ist aber kein zwingendes Prozedere. Es kann auch der „normale“ Widerspruch einzulegen sein; auch hybride Formen sind denkbar, in denen der Betroffene einen Widerspruch einlegt und die ursprünglichen Prüfer in dieses Widerspruchsverfahren einbezogen werden.

Das Besondere am Überdenkungsverfahren ist, dass ein solches „Überdenken“ nur von den ursprünglichen Prüfern vorgenommen werden kann. Nicht beteiligte Prüfer dürfen in diesem Sonderverfahren nicht berücksichtigt werden. Ansonsten hätte der Betroffene durch andere Prüfer womöglich einen Vorteil gegenüber den übrigen Prüflingen und die Chancengleichheit wäre nicht gewährleistet. Sollte das Überdenkungsverfahren keinen Erfolg haben, ist auch gerichtlicher Rechtsschutz denkbar. Sollte gegen die Bewertung vorgegangen werden, ist regelmäßig eine Verpflichtungsklage statthaft; der Begriff „Prüfungsanfechtung“ ist dabei irreführend. Denn es ist regelmäßig eine Neubewertung der Prüfung begehrt. Häufiges Ziel ist es dann, gerichtliche Maßgaben für die Neubewertung zu erstreiten.
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Dr. Onur C. Aydin

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